Häufig lese ich Yogakursangebote oder sehe Yogavideos, die versprechen, dass es hier speziell um den Rücken geht. Also das heißt, hier werden Übungen gemacht, in denen speziell der Rücken gefordert ist.
Da ja heute praktisch jeder irgendwie „Rücken“ hat – der eine mehr unten, der andere mehr im Schulter-/ Nackenbereich, der eine mehr, der andere weniger – ist das natürlich unter Marketinggesichtspunkten die Ansprache einer riesigen Zielgruppe. Und wer verkaufen möchte weiß: man muss oben in den Trichter möglichst VIIIIELE Interessenten reinwerfen, damit unten ein Bruchteil der Interessenten tatsächlich zum zahlenden Kursteilnehmer wird. Das ist bei „Yoga zum Abnehmen“ nicht anders, wurde doch gerade jüngst nachrichtlich verbreitet, dass die Coronapandemie mit ihren ganzen Einschränkungen im Schnitt mit 5kg mehr auf der Waage zu Buche schlägt. Ich schätze die Stunde der Weightloss Yoga Classes ist spätestens jetzt gekommen. Man muss nur mal googlen – unglaublich, was da an Ergebnissen kommt.
Die Angebote funktionieren also unter Marketingaspekten super – aber mal ehrlich, wenn Du als Interessent WIRKLICH Deine Rückenprobleme bekämpfen möchtest oder WIRKLICH abnehmen möchtest... dann lies bitte weiter.
Yoga ist nicht nur Gymnastik mit Atmen, in dem Du mal diese, mal jene Körperteile besonders ansprichst. Yoga ist viel komplexer und vor allem GANZHEITLICHER. Yoga heißt „verbinden“, und wenn Du Yoga praktizierst verbindest Du in erster Linie Deinen Körper, Deinen Atem und Deinen Geist. Du lernst (wieder), Deinen Körper, Deine Emotionen und Deine Gedanken wahrzunehmen und achtsam mit ihnen umzugehen.
Warum ist das so wichtig?
Bleiben wir zunächst bei „Yoga für den Rücken“: 80-90% der Rückenschmerzen sind unspezifisch. Das bedeutet: es gibt keine konkrete Diagnose wie Bandscheibenvorfall, Spinalkanalstenose, Gleitwirbel, altersbedingte Degeneration oder ähnliches. Es lässt sich einfach keine konkrete Ursache ausmachen. Aber trotzdem sind die Rückenprobleme ja da. Wenn Deine Rückenprobleme zu diesen 80-90% gehören, Du also nicht genau weißt, wo die Ursache liegt... wie willst Du dann mit ein oder zwei Handvoll „Übungen“ Deine Rückenprobleme beheben?
Ein großer Anteil der auftretenden Rückenschmerzen wird als „psychosomatisch bedingt“ diagnostiziert. Psychosomatisch bedeutet, dass es eben keine (ausschließlich) körperlich Ursache gibt für Beschwerden, sondern dass diese sich zwar körperlich ausdrücken, aber durch soziale und/oder psychische Belastungen oder „seelisches Ungleichgewicht“ begründet werden – und das lässt sich nicht durch ein paar Rückenübungen lösen.
„Psychosomatisch bedingt“ – das klingt erstmal ziemlich unbefriedigend, denn logischerweise gibt’s keine Pille gegen die konkrete Ursache, weil die Ursache ganz individuell in Dir selbst liegt und auch nur Du selbst diese Ursache finden und beseitigen kannst. Das klingt anstrengend und unbequem – aber es ist wie immer im Leben: die Bereitschaft, genau diesen Weg zu gehen steigt mit der Höhe Deines Leidensdrucks; ganz unverblümt und schnörkellos ausgedrückt.
Ein erster Schritt auf diesem Weg kann für Dich Yoga sein. Yoga ist nicht reduziert auf die Ausführung bestimmter Asanas (Körperhaltungen, Übungen), das ist nur ein Teil. Du lernst vor allem Deinen Körper neu kennen und achtest auf Deine Emotionen und Gedanken während Du praktizierst. Du findest heraus, was Dir guttut, und ebenso nimmst Du wahr, was Dir nicht guttut. Du lenkst Deinen Blick während der Yogapraxis nach innen, beobachtest Gedanken, die Du hast, und Emotionen, die Du spürst. Mit einer regelmäßigen Yogapraxis kannst Du dies Schritt für Schritt auch in Deinen Alltag überführen: was tut Dir im Alltag gut, und was nicht?
Die Kombination aus Asana-Praxis, Pranayama (Atemübungen) und Meditation im Yoga helfen Dir, Deinen Körper und Geist in Einklang zu bringen. Yoga ist mehr als nur Gymnastik, es ist Zeit, die Du mit Dir und Deinem Körper verbringst und in der Du Dich besser kennenlernen kannst.
Zurück zum Rücken:
„Yoga für den Rücken“ suggeriert, es gäbe ein Set von Asanas, dass Dich von Rückenproblemen befreit. Nein, das gibt es nicht. Du kannst aber davon ausgehen, dass nahezu in JEDER Yogaklasse bei uns Dein Rücken im Zentrum steht und gefordert wird: Yoga OHNE Rücken geht nämlich gar nicht. Nicht ohne Grund unterteilt man Asanas zum Beispiel in Vorbeugen, Rückbeugen, Seitbeugen, Twists und Umkehrhaltungen, und die kommen praktisch IMMER vor. Mit regelmäßiger Asanapraxis erhältst Du Deinen Körper gesund, das ist schon einmal eine unglaublich wichtige Grundlage für Dein gesamtes Wohlbefinden. Außerdem baust Du Spannungen ab: also zum Beispiel muskuläre Spannungen, die sich durch eine angespannte Körperhaltung (z.B. zu viel Sitzen, hochgezogene Schultern, Angst- und Wutzustände) aufgebaut hat. Es gibt etablierte Abfolgen von Asanas, die jedoch alle niemals nur EINEN Aspekt berücksichtigen (wie zum Beispiel „nur Rücken“, oder „nur Vorbeugen“), sondern immer nach Ausgleich des Gesamtsystems streben.
Wie ist das mit „Yoga zum Abnehmen“?
Wenn Du Dein Gewicht reduzieren möchtest ist der wesentliche Schlüssel, dass Du weniger Energie aufnimmst als Du verbrauchst – das weißt Du sicher, und so banal es ist, so schwierig ist es bisweilen auch.
Yoga üben verbraucht Energie. Je nachdem, wie fordernd eine Klasse ist, mal mehr, mal weniger. Durch Yoga baust Du Kraft und Flexibilität im Körper auf – wenn Du allerdings nicht gerade 108 Sonnengrüße praktizierst bleibt der Ausdaueraspekt häufig unberücksichtigt. Nichtsdestotrotz: mit regelmäßiger Praxis baust Du Kraft auf und stärkst Deine Muskulatur – und mehr Muskelmasse benötigt – also VERBRAUCHT – mehr Energie.
Wenn Du kurzfristige Gewichtsprobleme hast, die Du unter anderem mit Bewegung in den Griff bekommen möchtest, dann empfehle ich Dir Ausdauersport wie Laufen, Schwimmen, Radfahren oder Ähnliches.
Wenn Du eher chronische Gewichtsprobleme hast und schon einige Jahre mit Deinem Körpergewicht kämpfst und unzufrieden bist, dann kann die regelmäßige Yogapraxis Dir durchaus helfen, den Ursachen dafür auf die Schliche zu kommen. Du spürst intensiv in Deinen Körper hinein und gehst achtsam und liebevoll mit Deinem Körper um. Du lernst, wie es sich anfühlt, nicht das ÜBERgewicht ständig zu fokussieren, sondern stattdessen das GLEICHgewicht von Körper, Geist und Seele. Das allein kann Dir viel Druck nehmen, der allein in Deinem Kopf entsteht und wie eine Spirale zu noch mehr Essen und noch mehr Gewicht führt – ein Teufelskreis.
Kurse mit dem Titel „Yoga zum Abnehmen“ suggerieren, dass die Pfunde allein durch anstrengende Yoga WORKOUTS purzeln. Der Begriff „Workout“ allein hat schon nichts mehr mit Yoga zu tun, sondern dahinter verbergen sich oft rein fitnessorientierte Übungen, die von der Grundidee her auf irgendwelchen Yoga Asanas beruhen (zum Beispiel „Yoga Burpees“). Yoga ist das allerdings nicht mehr, sondern eher kraftvoll-dynamische Gymnastik.
Wenn Du mit Yoga wirklich nachhaltig Gewicht verlieren möchtest, dann praktiziere regelmäßig und fokussiere Dich nicht auf den rein körperlichen Aspekt. DU bist MEHR als Dein Körper. Yoga kann Dir helfen, Dein Mindset bezüglich Deines Körpergewichtes und Deines Essverhaltens zu erkennen und zu verändern – wenn Du Dich darauf einlässt und nicht auf kurzfristige und schnelle Diät- und Bewegungskonzepte setzt.
Fazit:
Egal, ob Du RÜCKEN hast oder ein Gewichtsproblem oder irgendein anderes körperliches Symptom, was Du gerne loswerden möchtest: es ist verständlich, dass Du eine möglichst einfache und schnelle Lösung dafür suchst. Aber in sehr vielen Fällen funktioniert einfach und schnell nicht, oder das Ergebnis ist nur von kurzer Dauer und nicht nachhaltig. Yoga kann Dein Weg sein, um Dich Deinem Körper, Deinen Emotionen und Deinem Geist ganzheitlich zu nähern und zu beginnen, freundlich, liebevoll und annehmend mit ihm umzugehen. Praktiziere regelmäßig. Betrachte Yoga nicht als Pflichtprogramm. Yoga ist Deine Zeit für Dich, und Du bist nun einmal der wichtigste Mensch in Deinem Leben – wie anders könntest Du Deine Zeit besser investieren.